1. Einführung: Was ist eine Eigentümerversammlung?
Die Eigentümerversammlung ist das zentrale Entscheidungsorgan einer Wohnungseigentümergemeinschaft (WEG). Hier treffen sich alle Wohnungseigentümer, um über Belange des gemeinschaftlichen Eigentums zu beraten und abzustimmen. Ob es um die Instandhaltung des Gebäudes, die Hausordnung, Modernisierungsmaßnahmen oder den Wirtschaftsplan geht – die Eigentümerversammlung ist der Ort, an dem solche Entscheidungen rechtlich wirksam getroffen werden.
Rechtlich geregelt ist die Eigentümerversammlung im Wohnungseigentumsgesetz (WEG). Seit der umfassenden Reform im Jahr 2020 wurde das Versammlungsrecht vereinfacht und modernisiert – etwa durch die Möglichkeit virtueller Teilnahme und erleichterte Beschlussfassungen.
Bedeutung für Eigentümer
Für Wohnungseigentümer ist die Versammlung nicht nur eine Pflichtveranstaltung, sondern ein wichtiges Mitwirkungsrecht. Wer regelmäßig teilnimmt, kann mitbestimmen, welche Maßnahmen ergriffen werden und wie das gemeinschaftliche Eigentum verwaltet wird. Wer dagegen fernbleibt, muss sich an die gefassten Beschlüsse halten – selbst wenn diese nicht den eigenen Interessen entsprechen.
2. Rechtliche Grundlagen
Die Eigentümerversammlung ist im Wohnungseigentumsgesetz (WEG) geregelt, das die rechtlichen Rahmenbedingungen für das Zusammenleben in Wohnungseigentümergemeinschaften festlegt. Die wichtigsten Paragraphen zur Eigentümerversammlung finden sich in den §§ 24 bis 25 WEG. Eine grundlegende Reform des Gesetzes trat am 1. Dezember 2020 in Kraft und hat das WEG in wesentlichen Punkten modernisiert und vereinfacht.
Wesentliche Änderungen durch die WEG-Reform 2020
Die Reform zielte darauf ab, die Verwaltung des Gemeinschaftseigentums effizienter zu gestalten und die Entscheidungsprozesse zu vereinfachen. Zu den zentralen Änderungen im Zusammenhang mit der Eigentümerversammlung zählen:
- Stärkung der Beschlusskompetenz der Eigentümergemeinschaft: Seit der Reform können viele Maßnahmen einfacher beschlossen werden, auch wenn nicht alle Eigentümer zustimmen (z. B. bauliche Veränderungen am Gemeinschaftseigentum).
- Erleichterte Beschlussfassung: Für viele Beschlüsse genügt nun die einfache Mehrheit der abgegebenen Stimmen, nicht mehr der Eigentümer insgesamt.
- Teilnahme durch elektronische Kommunikation: Die Versammlung kann ergänzend digital durchgeführt werden, wenn ein entsprechender Beschluss vorliegt.
- Verwalterbestellung vereinfacht: Der Verwalter kann nun auch gegen den Willen einzelner Eigentümer bestellt oder abberufen werden.
- Verpflichtung zur Beschlusssammlung bleibt: Auch nach der Reform muss eine lückenlose Dokumentation aller gefassten Beschlüsse erfolgen.
Rechtsnatur der Eigentümerversammlung
Juristisch betrachtet ist die Eigentümerversammlung das Organ der Wohnungseigentümergemeinschaft, vergleichbar mit der Gesellschafterversammlung in einer GmbH. Ihre Beschlüsse entfalten bindende Wirkung für alle Eigentümer – unabhängig davon, ob sie anwesend waren oder zugestimmt haben.
3. Einberufung der Eigentümerversammlung
Damit eine Eigentümerversammlung überhaupt stattfinden kann, muss sie ordnungsgemäß einberufen werden. Die Einberufung legt den organisatorischen und rechtlichen Rahmen für die Versammlung fest. Fehler in der Einberufung können dazu führen, dass getroffene Beschlüsse später erfolgreich angefochten werden.
Zuständigkeit für die Einberufung
Die Einberufung der Versammlung obliegt grundsätzlich dem Verwalter (§ 24 Abs. 1 WEG). Nur wenn kein Verwalter bestellt ist oder der Verwalter seiner Pflicht nicht nachkommt, kann die Einberufung auch durch einen einzelnen Wohnungseigentümer erfolgen – mit gerichtlicher Ermächtigung.
In Ausnahmefällen kann auch der Verwaltungsbeirat oder eine Gruppe von Eigentümern (mehr als 25 % der Miteigentumsanteile) beim Verwalter eine Versammlung verlangen. Kommt der Verwalter dem nicht nach, kann eine Einberufung durch gerichtliche Entscheidung erzwungen werden.
Form und Frist
Die Einberufung muss schriftlich erfolgen, wobei auch elektronische Formate (z. B. E-Mail) erlaubt sind, wenn dies in der Gemeinschaftsordnung oder durch Beschluss bestimmt wurde.
Einladungsfrist:
Die gesetzliche Mindestfrist beträgt drei Wochen (§ 24 Abs. 4 Satz 2 WEG) zwischen Zugang der Einladung und dem Versammlungstermin. In dringenden Fällen kann diese Frist verkürzt werden, wenn sachlich gerechtfertigt.
Inhalte der Einladung
Die Einladung zur Eigentümerversammlung muss Folgendes enthalten:
- Ort, Datum und Uhrzeit der Versammlung
- Tagesordnung mit allen Beschlussvorschlägen
- Bei Bedarf: Anlagen (z. B. Wirtschaftspläne, Kostenvoranschläge)
Nur über Themen, die in der Tagesordnung angekündigt wurden, dürfen Beschlüsse gefasst werden – eine nachträgliche Aufnahme neuer Punkte in der Versammlung ist unzulässig, wenn daraus Beschlüsse entstehen sollen.
4. Teilnahme und Vertretung
Die Eigentümerversammlung lebt von der Beteiligung der Wohnungseigentümer. Nur wer teilnimmt oder sich wirksam vertreten lässt, kann aktiv Einfluss auf die Verwaltung des gemeinschaftlichen Eigentums nehmen. Dabei gelten bestimmte Regeln, wer teilnehmen darf, wie man sich vertreten lassen kann und welche Voraussetzungen für eine gültige Stimmabgabe bestehen.
Wer darf teilnehmen?
Grundsätzlich sind zur Teilnahme berechtigt:
- Alle Wohnungseigentümer
- Der bestellte Verwalter
- Mitglieder des Verwaltungsbeirats
- Vom Verwalter geladene Dritte, etwa Fachleute oder Dienstleister (z. B. Architekten, Handwerker), wenn deren Anwesenheit zur Entscheidungsfindung erforderlich ist
Mieter haben kein Teilnahmerecht, es sei denn, ein Eigentümer bevollmächtigt seinen Mieter ausdrücklich.
Teilnahme in Präsenz oder digital?
Seit der WEG-Reform 2020 können Eigentümerversammlungen ergänzend digital oder hybrid durchgeführt werden – wenn ein entsprechender Beschluss der Eigentümergemeinschaft dies erlaubt (§ 23 Abs. 1 Satz 2 WEG). Dabei bleibt der physische Versammlungsort verpflichtend; eine rein digitale Versammlung ist nur durch einstimmige Vereinbarung aller Eigentümer möglich.
Vertretung: Vollmachten & Stimmrechte
Ein Eigentümer kann sich in der Versammlung vertreten lassen – durch:
- Ehepartner oder Verwandte
- Andere Wohnungseigentümer
- Dritte, z. B. Rechtsanwälte
Die Vollmacht muss schriftlich erfolgen, es sei denn, die Gemeinschaftsordnung erlaubt ausdrücklich andere Formen (z. B. E-Mail). Wichtig: Die Vollmacht muss im Zweifel vorgelegt werden können.
Bei juristischen Personen (z. B. GmbH als Eigentümer) nimmt der gesetzliche Vertreter teil oder bevollmächtigt eine Person.
Stimmgewicht
Das Stimmrecht kann sich je nach Regelung in der Teilungserklärung auf unterschiedliche Weise bemessen:
- Kopfprinzip: Jeder Eigentümer hat eine Stimme, unabhängig von der Größe seines Miteigentumsanteils.
- Wertprinzip: Die Stimmkraft richtet sich nach dem Miteigentumsanteil.
- Objektprinzip: Jede Einheit (z. B. Wohnung) hat eine Stimme.
Im Streitfall ist das im Grundbuch eingetragene Stimmrecht maßgeblich. Eine eindeutige Klärung vor der Abstimmung kann unnötige Anfechtungen vermeiden.
5. Ablauf der Eigentümerversammlung
Eine Eigentümerversammlung folgt in der Regel einem festen Ablauf. Dieser sorgt für Struktur, Rechtssicherheit und ermöglicht einen geordneten Entscheidungsprozess. Obwohl kleinere Unterschiede je nach Verwalterpraxis und Gemeinschaft bestehen können, orientiert sich der Ablauf im Wesentlichen an einem bewährten Muster.
1. Eröffnung und Feststellung der Beschlussfähigkeit
Die Versammlung wird vom Verwalter eröffnet, der zunächst folgende Punkte klärt:
- Anwesenheit und Vertretungen (durch Abgleich mit Anwesenheitsliste)
- Feststellung der ordnungsgemäßen Einladung
- Beschlussfähigkeit der Versammlung
Beschlussfähig ist die Versammlung unabhängig von der Zahl der erschienenen Eigentümer (§ 25 Abs. 3 WEG), wenn sie ordnungsgemäß einberufen wurde – eine wichtige Änderung der WEG-Reform 2020.
2. Wahl des Versammlungsleiters (optional)
In der Regel leitet der Verwalter die Versammlung. Die Eigentümergemeinschaft kann jedoch auch beschließen, einen anderen Versammlungsleiter zu bestimmen, etwa bei Interessenkonflikten oder Misstrauen gegenüber dem Verwalter.
3. Genehmigung der Tagesordnung / Änderungswünsche
Die in der Einladung angekündigte Tagesordnung wird verlesen und ggf. ergänzt – ergänzende Beschlüsse sind nur dann zulässig, wenn alle Anwesenden zustimmen oder es sich um reine Diskussionsthemen ohne Beschlussfassung handelt.
4. Beratung und Beschlussfassung
Nun werden die einzelnen Tagesordnungspunkte abgearbeitet. Zu jedem Punkt erfolgt:
- Vorstellung durch den Verwalter oder Beirat
- Diskussion durch die Eigentümer
- Abstimmung über den Beschlussvorschlag
Beschlüsse müssen eindeutig formuliert werden – unklare oder widersprüchliche Formulierungen sind häufige Gründe für gerichtliche Anfechtungen.
5. Verschiedenes (optional)
Am Ende der Tagesordnung gibt es häufig einen offenen Punkt für allgemeine Hinweise, Fragen oder Anregungen. Beschlüsse dürfen hier nicht gefasst werden, da keine vorherige Ankündigung erfolgt ist.
6. Protokollierung und Schließen der Versammlung
Der Verwalter (oder ein benannter Protokollführer) fertigt das Versammlungsprotokoll an. Es sollte folgende Angaben enthalten:
- Datum, Ort und Uhrzeit
- Teilnehmerliste
- Besprochene Punkte
- Exakte Beschlusstexte und Ergebnisse
Die Versammlung endet mit der Förmlichen Schließung durch den Versammlungsleiter.
6. Beschlussfassung und Mehrheiten
Die Fähigkeit der Eigentümerversammlung, wirksam zu handeln, steht und fällt mit der ordnungsgemäßen Beschlussfassung. Hier entscheidet sich, wie und unter welchen Bedingungen Maßnahmen für das gemeinschaftliche Eigentum beschlossen werden können. Das Wohnungseigentumsgesetz regelt dabei im Detail, welche Mehrheiten erforderlich sind – abhängig von der Art des Beschlusses.
Arten von Beschlüssen
In einer Eigentümerversammlung können u. a. folgende Beschlüsse gefasst werden:
- Alltagsentscheidungen (z. B. Hausordnung, Instandhaltungsmaßnahmen)
- Finanzielle Beschlüsse (z. B. Wirtschaftsplan, Jahresabrechnung)
- Bauliche Veränderungen (z. B. Modernisierung, Anbau von Balkonen)
- Verwalterbestellung/-entlastung
- Nutzung und Verwaltung des Gemeinschaftseigentums
- Ermächtigungen oder Änderungen der Gemeinschaftsordnung (in engen Grenzen)
Stimmmehrheiten im Überblick
Die WEG-Reform 2020 hat das System der Mehrheiten vereinfacht und flexibilisiert:
Beschlussart | Erforderliche Mehrheit |
Einfache Beschlüsse (z. B. Instandhaltung) | Einfache Mehrheit der abgegebenen Stimmen (§ 25 Abs. 1 WEG) |
Bauliche Veränderungen | Mehrheit der abgegebenen Stimmen genügt, Kostenverteilung nur auf zustimmende Eigentümer, wenn keine „Privilegierung“ vorliegt (§ 20 WEG) |
Verwalterbestellung/-entlassung | Einfache Mehrheit der abgegebenen Stimmen |
Änderung der Kostenverteilung | Alle betroffenen Eigentümer müssen zustimmen (§ 16 WEG) |
Gemeinschaftsordnung ändern | Grundsätzlich einstimmig, ggf. mit Zustimmung aller im Grundbuch eingetragenen Eigentümer |
Sonderfall: Kopf-, Objekt- oder Wertprinzip
Die Gewichtung der Stimmen richtet sich nach der Teilungserklärung bzw. der Gemeinschaftsordnung:
- Kopfprinzip: 1 Stimme pro Eigentümer
- Objektprinzip: 1 Stimme pro Einheit (z. B. Wohnung)
- Wertprinzip: Stimmen nach Miteigentumsanteilen
Unklarheiten können im Vorfeld durch Mehrheitsfeststellung oder durch gerichtliche Klärung vermieden werden.
Ungültige oder nichtige Beschlüsse
Ein Beschluss ist nichtig, wenn er grob gegen gesetzliche Vorschriften oder die Grundsätze ordnungsgemäßer Verwaltung verstößt (z. B. bei Diskriminierung einzelner Eigentümer oder bei offensichtlichem Gesetzesverstoß).
Ein Beschluss ist anfechtbar, wenn Formfehler oder Verfahrensmängel vorliegen – etwa bei fehlerhafter Einladung, unzureichender Tagesordnung oder unklarer Beschlussformulierung. In diesem Fall muss innerhalb eines Monats Anfechtungsklage erhoben werden (mehr dazu in Part 8).
7. Protokoll und Beschlusssammlung
Dokumentation ist das Rückgrat einer rechtssicheren Eigentümerversammlung. Ohne korrektes Protokoll und eine ordentliche Beschlusssammlung drohen Unsicherheiten oder sogar die Unwirksamkeit von gefassten Entscheidungen. Der Verwalter ist gesetzlich verpflichtet, beides zuverlässig zu führen.
Das Protokoll der Eigentümerversammlung
Das Protokoll dient als Nachweis über den Ablauf und die Ergebnisse der Versammlung. Es sollte sorgfältig, neutral und nachvollziehbar erstellt werden – idealerweise zeitnah nach der Versammlung.
Pflichtinhalte eines Protokolls:
- Ort, Datum, Beginn und Ende der Versammlung
- Teilnehmerliste (mit Vollmachten)
- Feststellung der ordnungsgemäßen Einberufung und Beschlussfähigkeit
- Tagesordnungspunkte mit kurzer Zusammenfassung der Diskussionen
- Exakte Formulierungen der Beschlüsse und deren Abstimmungsergebnisse (Ja/Nein/Enthaltungen)
Formvorgaben:
Das Protokoll muss schriftlich erfolgen, eine Unterzeichnung durch den Versammlungsleiter und ggf. ein weiteres Mitglied (z. B. Beirat) ist üblich, aber nicht gesetzlich zwingend.
Tipp: Eigentümer können Einsicht in das Protokoll verlangen, haben aber keinen Anspruch auf eine individuelle Zustellung (es sei denn, die Gemeinschaft hat das beschlossen).
Die Beschlusssammlung (§ 24 Abs. 7 WEG)
Seit 2007 ist der Verwalter gesetzlich verpflichtet, eine Beschlusssammlung zu führen. Sie unterscheidet sich vom Protokoll dadurch, dass sie ausschließlich die gefassten Beschlüsse in chronologischer Reihenfolge enthält – unabhängig von ihrer Anfechtbarkeit oder Nichtigkeit.
Mindestangaben pro Eintrag:
- Datum der Versammlung
- Inhalt des Beschlusses (Wortlaut)
- Abstimmungsergebnis
- Hinweis auf mögliche Anfechtungen
- Aktenzeichen bei laufenden Gerichtsverfahren
Die Beschlusssammlung dient auch potenziellen Käufern einer Eigentumswohnung zur Einsicht – etwa zur Klärung offener Sanierungsbeschlüsse oder Rücklagenentscheidungen.
Aufbewahrung und Einsicht
- Die Protokolle und die Beschlusssammlung müssen dauerhaft aufbewahrt werden.
- Eigentümer können jederzeit Einsicht nehmen, haben aber kein Recht auf Mitnahme oder Abschrift ohne triftigen Grund (z. B. für Anfechtungsklage).
8. Anfechtung von Beschlüssen
Nicht jeder Beschluss einer Eigentümerversammlung ist rechtlich einwandfrei. Eigentümer, die sich durch einen Beschluss benachteiligt fühlen oder Verfahrensfehler vermuten, haben die Möglichkeit zur gerichtlichen Anfechtung. Dabei gelten jedoch strenge Fristen und formale Anforderungen, die unbedingt beachtet werden müssen.
Unterschied: Anfechtbarkeit vs. Nichtigkeit
- Anfechtbare Beschlüsse sind zunächst wirksam, können aber durch Urteil für ungültig erklärt werden. Typische Gründe:
- Formfehler bei Einladung oder Beschlussfassung
- Unzureichende Information oder Täuschung
- Verletzung ordnungsgemäßer Verwaltung (§ 19 WEG)
- Nichtige Beschlüsse sind von Anfang an unwirksam, z. B. bei:
- grobem Gesetzesverstoß
- offensichtlicher Diskriminierung
- fehlender Beschlusskompetenz (z. B. unzulässige Eingriffe in Sondereigentum)
Fristen und Ablauf der Anfechtungsklage
Eine Anfechtung muss durch eine Klage beim zuständigen Amtsgericht erfolgen:
- Klagefrist: 1 Monat ab dem Tag der Versammlung (§ 45 WEG)
- Begründungsfrist: 2 Monate ab dem Versammlungstag
Die Klage ist nur zulässig, wenn der Beschluss nicht bereits nichtig ist und der Kläger selbst Eigentümer ist. Die Klage richtet sich gegen die Wohnungseigentümergemeinschaft, vertreten durch den Verwalter.
Tipp: Eine Klage allein stoppt den Beschluss nicht automatisch. Nur wenn das Gericht eine aufschiebende Wirkung anordnet, wird der Vollzug des Beschlusses ausgesetzt.
Prozessrisiken und Kosten
Wer eine Anfechtungsklage erhebt, trägt zunächst das Kostenrisiko. Die Gerichte prüfen streng, ob wirklich ein rechtlicher Mangel vorliegt – bloßes „Nichtgefallen“ reicht nicht aus.
Gerichtskosten, Anwaltskosten (sofern eingeschaltet) und ggf. Sachverständigenkosten können bei Unterliegen erheblich sein. Umso wichtiger ist eine vorherige juristische Beratung oder Abstimmung mit anderen Eigentümern.
Typische Anfechtungsgründe
- Falsche oder verspätete Einladung
- Ungenügende Ankündigung in der Tagesordnung
- Fehlerhafte Beschlussformulierung
- Verstöße gegen das Gleichbehandlungsgebot
- Unwirtschaftliche oder unverhältnismäßige Maßnahmen
9. Digitale und hybride Versammlungen
Mit der Reform des Wohnungseigentumsgesetzes im Jahr 2020 wurde ein bedeutender Schritt in Richtung Modernisierung gemacht: Erstmals erlaubt das Gesetz, dass Eigentümerversammlungen auch online oder hybrid (also teils vor Ort, teils digital) durchgeführt werden können – ein Novum, das nicht nur in Pandemiezeiten für Flexibilität sorgt.
Gesetzliche Grundlage (§ 23 Abs. 1 WEG)
Seit der Reform gilt:
„Die Wohnungseigentümer können beschließen, dass Wohnungseigentümer auch ohne physische Präsenz an der Versammlung teilnehmen und ihre Rechte im Wege der elektronischen Kommunikation ausüben können.“
Dieser Beschluss muss formell durch die Eigentümergemeinschaft gefasst werden – ohne ihn ist eine digitale Teilnahme nicht zulässig. Es handelt sich dabei um eine dauerhafte Ermächtigung, kein Einzelfallbeschluss.
Arten der digitalen Beteiligung
- Hybride Versammlung: Ein Teil der Eigentümer ist physisch anwesend, der andere Teil nimmt digital teil (z. B. per Zoom oder Microsoft Teams).
- Reine Online-Versammlung: Nur bei einstimmiger Vereinbarung aller Eigentümer möglich (z. B. als Vereinbarung in der Teilungserklärung oder durch notariellen Beschluss).
Voraussetzungen und technische Anforderungen
Für eine rechtssichere digitale Versammlung müssen bestimmte Voraussetzungen erfüllt sein:
- Klare Identifikation der Teilnehmer
- Sichere Stimmabgabe (z. B. per Video, elektronisches Abstimmungssystem oder per E-Mail – je nach Regelung)
- Vertrauliche und störungsfreie Kommunikation
- Dokumentation und Protokollierung wie bei Präsenzversammlungen
Der Verwalter muss zudem sicherstellen, dass alle Eigentümer Zugang zur Technik haben – andernfalls kann eine Ungleichbehandlung vorliegen.
Vor- und Nachteile digitaler Versammlungen
Vorteile:
- Erhöhte Teilnahmequote, besonders bei Eigentümern mit weiter Anreise
- Flexibilität bei der Organisation
- Kostenersparnis (z. B. bei Raummiete)
Nachteile:
- Technische Barrieren für ältere oder technisch wenig versierte Eigentümer
- Höherer organisatorischer Aufwand
- Risiko technischer Störungen oder Manipulationen
10. Besondere Versammlungsformen
Neben der ordentlichen (regelmäßigen) Eigentümerversammlung gibt es besondere Versammlungsformen, die in bestimmten Situationen zum Einsatz kommen. Dazu zählen insbesondere außerordentliche Versammlungen und Umlaufbeschlüsse. Beide dienen der Flexibilität und ermöglichen Entscheidungen auch außerhalb des üblichen Turnus.
1. Außerordentliche Eigentümerversammlung
Eine außerordentliche Versammlung wird zusätzlich zur regulären jährlichen Versammlung einberufen, wenn dringende oder unvorhergesehene Entscheidungen notwendig sind – etwa bei:
- Dringenden Reparaturen am Gemeinschaftseigentum
- Streitigkeiten innerhalb der Eigentümergemeinschaft
- Personalwechsel (z. B. Verwalterabberufung)
- Plötzlicher Sanierungsbedarf (z. B. Rohrbruch, Brandschutzauflagen)
Einberufung:
Auch hier gelten die allgemeinen Vorschriften: Schriftliche Einladung mit mindestens drei Wochen Frist (§ 24 WEG), mit genauer Angabe der Tagesordnung. Eine kurzfristige Einberufung ist möglich, wenn ein „wichtiger Grund“ vorliegt – z. B. drohender Schaden am Gebäude.
Beschlussfassung:
Die gleichen Regeln wie bei ordentlichen Versammlungen gelten: ordnungsgemäße Einladung, Feststellung der Beschlussfähigkeit, protokollierte Abstimmungen.
2. Umlaufbeschluss (§ 23 Abs. 3 WEG)
Ein Umlaufbeschluss ist ein Beschluss, der ohne Versammlung, also schriftlich oder elektronisch, gefasst wird. Er eignet sich besonders für:
- Eilige Entscheidungen ohne Diskussion
- Einfache Maßnahmen mit breitem Konsens
- Zeiten, in denen keine Versammlung möglich ist (z. B. Pandemie, Urlaubszeit)
Bedingungen:
- Bis zur WEG-Reform 2020: Einstimmigkeit erforderlich – jeder Eigentümer musste zustimmen.
- Seit der Reform: Umlaufbeschlüsse können mit einfacher Mehrheit gefasst werden, wenn die Eigentümer dies zuvor per Beschluss erlaubt haben.
Form:
- Schriftlich oder elektronisch (z. B. per E-Mail)
- Nachvollziehbare Zustimmung jedes Eigentümers erforderlich
- Protokollierung in der Beschlusssammlung zwingend
Tipp: Umlaufbeschlüsse sollten klar formuliert und mit Fristen versehen sein, um Verbindlichkeit und Nachvollziehbarkeit zu gewährleisten.
11. Fazit
Die Eigentümerversammlung ist das Herzstück jeder Wohnungseigentümergemeinschaft – ein Ort der Mitbestimmung, Organisation und gemeinschaftlichen Verantwortung. Durch die WEG-Reform 2020 wurde sie moderner, flexibler und rechtlich klarer gefasst. Gleichzeitig sind die Anforderungen an alle Beteiligten gestiegen: Gut informierte Eigentümer und kompetente Verwalter sind heute wichtiger denn je.
Wichtige Erkenntnisse auf einen Blick:
- Die Versammlung ist rechtsverbindlich – selbst für abwesende Eigentümer.
- Eine ordnungsgemäße Einladung und klare Tagesordnung sind entscheidend für die Gültigkeit von Beschlüssen.
- Digitale Beteiligung ist möglich, aber an bestimmte Voraussetzungen geknüpft.
- Beschlussfassung wurde erleichtert – gleichzeitig bleiben viele Streitfragen (z. B. bauliche Veränderungen, Kostenverteilung) komplex.
- Eine gute Protokollführung und transparente Verwaltung stärken das Vertrauen in die Gemeinschaft.